Alternative Versicherungsmodelle (AVM): Vielfalt, Innovationsmotor und tiefere Prämien im Interesse der Versicherten

30.06.2025

Darum geht es

Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) sieht für Erwachsene ein Standardmodell vor mit einer Franchise von 300 Franken sowie einen unbeschränkten Zugang zu den Leistungserbringern, die über die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) abrechnen können. Den Versicherten steht es frei, eine höhere Kostenbeteiligung zu vereinbaren (Wahlfranchise) oder sich für ein alternatives Versicherungsmodell (AVM) zu entscheiden, in dem bei gewissen Einschränkungen (z.B. der Wahl der Leistungserbringer) Prämienrabatte gewährt werden.

Die AVM wurden in ihrer heutigen Form mit dem KVG per 1. Januar 1996 eingeführt. Ihr Anteil gegenüber dem Standardmodell stieg kontinuierlich an: Ab 2011 wählte eine Mehrheit der Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz ein solches Versicherungsmodell. Im Jahr 2024 waren rund 80 Prozent der Versicherten in einem AVM versichert.

Die AVM unterscheiden sich vom Standardmodell in erster Linie dadurch, dass die Versicherten bei gesundheitlichen Beschwerden zuerst eine definierte Erstanlaufstelle konsultieren müssen. Durch diese Triagestelle wird erreicht, dass Spezialisten nur bei Bedarf aufgesucht, Doppeluntersuchungen reduziert, Notfallstationen entlastet und Synergien genutzt werden. Je nach Modell wird eine andere erste Anlaufstelle (z.B. Hausarzt, Apotheke oder Telemedizin) definiert. AVM können so die Effizienz im Gesundheitswesen erhöhen und Kosten dämpfen. Die erzielten Einsparungen schlagen sich in dem je nach Modell unterschiedlich grossen Prämienrabatt nieder, den das Bundesamt für Gesundheit (BAG) jedes Jahr neu bewilligt.

Die AVM fördern die Eigenverantwortung, indem sie bedarfsorientierte Angebote zur Verfügung stellen und dadurch einen gezielteren Zugang zu Dienstleistungen ermöglichen. Sie steigern die Behandlungsqualität und wirken gleichzeitig kostendämpfend. Sie sind die Basis für eine koordinierte Versorgung, unter Fachleuten auch als integrierte Versorgung bezeichnet, die über reine Koordination hinausgeht. Deshalb werden AVM konsequent weiterentwickelt und in integrierte Versorgungsnetze eingebunden, in denen die Versicherten entlang des gesamten Behandlungspfades begleitet werden. Mit der Einführung der Einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen EFAS eröffnen sich hier neue Möglichkeiten, Modelle im stationären oder spitalambulanten Bereich oder gar in die Pflege hinein weiterzuentwickeln. Ein weiterer Innovationspfad öffnet sich im Bereich der Qualitätsmessung.

So bestehen im jetzigen Regulationsumfeld bereits eine ganze Reihe von Pilotprojekten und etablierten Modellen, in denen Versicherer gezielt mit Leistungserbringern und Kantonen zusammenarbeiten. Diese Möglichkeiten für vielfältige Versorgungsmodelle sollen weiter bestehen. Dazu soll der Spielraum in den AVM weiter gestärkt und ausgebaut werden. Von Vorgaben für die Ausgestaltung der AVM ist abzusehen, da solche die Innovationsmöglichkeiten einschränken und den Mehrwert der AVM für die Gesundheitsversorgung schmälern. Damit bleibt es für die Versicherer möglich, qualitativ höherstehende Modelle anzubieten.

Position von prio.swiss

Alternative Versicherungsmodelle sind im heutigen System mit einem Wettbewerb zwischen mehreren Versicherern ein voller Erfolg und haben das Standardmodell weitgehend verdrängt. Für immer mehr Versicherte überwiegen die Vorteile, die sie durch den fest definierten Zugang zum Gesundheitssystem erhalten. Für die Versicherer bilden die AVM ein Herzstück für die Entwicklung integrierter Versorgungsnetze und damit für die Transformation des Gesundheitswesens. Sie sollen die zentralen Gefässe für Innovationen und die Weiterentwicklung im Gesundheitssystem bleiben. Durch AVM können beispielsweise die Ambulantisierung unterstützt oder spezielle Versorgungsmodelle geschaffen werden, die chronisch Kranke in ihrem Alltag begleiten. Die Einheitliche Finanzierung wird zu weiteren Innovationen im Bereich der AVM führen. Statt weiterer finanzieller Anreize oder neuer und weitergehender regulatorischen Vorgaben braucht es weiterhin Überzeugungskraft durch höhere Behandlungsqualität und die Aufklärung über die weiteren Vorteile der AVM.

Begründung

Vorteile gegenüber dem Standardmodell

Die AVM stärken die Eigenverantwortung, erhöhen die Behandlungsqualität und senken die Gesundheitskosten. Dabei spielen eine verbesserte Koordination zwischen den involvierten Akteuren und die damit einhergehenden Synergien eine wichtige Rolle. So kann gezielter auf die Patientinnen und Patienten eingegangen werden. Wie Studien zeigen, können Behandlungsprogramme wie z.B. Disease-Management Programme, die auf spezifische chronische Krankheiten wie u. a. Diabetes oder Herzkrankheiten zugeschnitten sind, die Therapieadhärenz (Einhaltung der vereinbarten Therapieziele) verbessern und teure Spitaleintritte verhindern. AVM bieten Leistungserbringern (wie beispielsweise Ärztinnen und Ärztinnen) und Versicherern Potenzial, neue Versorgungsformen zu entwickeln und innovative Lösungen zu finden. Damit können sie den steigenden Herausforderungen, beispielsweise durch mehr chronisch Kranke auf der einen und Fachkräftemangel auf der anderen Seite, Rechnung tragen.

Die Vielfalt der AVM adressiert die Präferenzen verschiedener Zielgruppen: Gesunde Personen reagieren preissensitiver und wählen eher Rabattangebote. Kranke Personen wollen primär optimal versorgt werden. Für chronisch kranke Personen müssen die Mehrwerte der koordinierten Versorgung weiter ausgebaut, aber vor allem auch besser sichtbar gemacht werden. Mit dem hoffentlich bald in Kraft tretenden Art. 56a KVG können die Versicherer ihre Versicherten gezielt über ein für sie passendes Versicherungsmodell informieren. Dabei handelt es sich üblicherweise um Modelle, die durch eine hohe Qualität in der Begleitung der chronischen Krankheit bestechen.

Optimale Versorgung von der Erstberatung bis zur integrierten Versorgung

In allen AVM übernimmt ein Leistungserbringer die Funktion der Triage, z. B. durch ein telemedizinisches Angebot, eine Apotheke, einen definierten Hausarzt resp. eine definierte Gruppenpraxis oder eine digitale Lösung. Zusätzlich kann der Versicherer mit dem Leistungserbringer eine Budgetmitverantwortung vereinbaren, die zusätzliche und messbare koordinierende Tätigkeiten fördert. Dadurch können zunehmend voll integrierte Versicherungsmodelle über den gesamten Behandlungspfad angeboten werden, von ambulant und stationär bis zur Rehabilitation.

Bei Modellen, die auf einem Vertrag zwischen Versicherern und Leistungserbringern aufbauen, können neben der erwähnten Budgetmitverantwortung u. a. Generika fördernde Massnahmen oder konkrete Qualitätsindikatoren mit Messungen vereinbart werden. Diese Qualitäts- und Effizienzgewinne kommen den Versicherten in Form von messbar besserer Qualität aufgrund der Koordination und in Form von Prämienrabatten zugute. Mit dem Vertrag wird das Risiko in Form einer Kopfpauschale pro Versicherten (engl. «Capitation») geteilt. Dabei wird für die Versorgung eines konkreten Versichertenkollektivs ein Pauschalbudget vereinbart, um dadurch den Leistungserbringern einen Anreiz für optimale Behandlungsqualität und -kosten zu bieten. Bei Listenmodellen hingegen wird dem Versicherten eine Liste von Leistungserbringern (z.B. Hausärzten) zur Verfügung gestellt, aus denen die versicherte Person reinen Leistungserbringer für die Erstberatung auswählen kann. Für die Versicherten erwächst so aus dem freien Wettbewerb zwischen den Versicherern eine Auswahl zwischen Modellen, die auf ihre jeweilige Lebenssituation zugeschnitten sind.

Auf diese Weise sind bei den AVM laut BAG bei der eigenen Prämie Einsparungen von bis zu 20 Prozent im Vergleich zum Standardmodell mit 300 Franken Franchise möglich. Am häufigsten werden die AVM mit der höchsten Franchise von 2’500 Franken kombiniert, oft von jungen, gesunden Menschen. Das teurere Standardmodell hingegen wählen ältere Personen und chronisch Kranke am häufigsten zusammen mit der tiefsten Franchise von 300 Franken. Dies zeigt: Finanzielle Anreize allein reichen nicht aus. Vielmehr müssen diese Versicherten durch eine verbesserte Information, höhere Qualität und einfachere Koordination davon überzeugt werden, die AVM zu wählen – und nicht durch zusätzliche Rabatte.