Angehörigenpflege: Notwendige Korrekturen für ein transparentes, hochwertiges und nachhaltiges Angebot

22.05.2025

Darum geht es

Mit pflegenden Angehörigen sind Personen aller Altersstufen gemeint, welche Pflegeleistungen für Angehörige übernehmen. Mit einem Bundesgerichtsurteil von 2019 wurde es möglich, dass Angehörige Leistungen der Grundpflege gemäss Art. 7a Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) vornehmen können. Diese KVG-Pflegeleistungen werden seither von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) entschädigt.

Das Urteil führte dazu, dass sich einige private Spitexorganisationen ausschliesslich auf die Einstellung von pflegenden Angehörigen spezialisierten. Problematisch ist insbesondere, dass von diesen Organisationen teilweise lediglich ein Bruchteil der mit OKP-Beiträgen und der Restfinanzierung der Kantone geleisteten Entschädigungen an die pflegenden Angehörigen weitergegeben wird und Rahmenbedingungen zur Qualitätssicherung weitgehend fehlen. Mit dem neuen Geschäftsmodell lassen sich so übermässig hohe Margen erzielen – wobei die Pflegequalität und die Patientensicherheit nicht gewährleistet ist.

Gleichzeitig wachsen die Pflegekosten und die von den Versicherern übernommenen Beiträge an der ambulanten Pflege seit Jahren stark an. Das Wachstum ist teilweise auf erwünschte Verlagerungseffekte aus der stationären hin zu ambulanter Pflege zurückzuführen. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere in den letzten Jahren auch die Angehörigenpflege zum überdurchschnittlichen Wachstum beigetragen hat. Aufgrund der Alterung ist zu erwarten, dass das Wachstum auch künftig hoch bleibt. Angesichts der jährlich steigenden Prämien gilt es sicherzustellen, dass nur Pflegeleistungen abgegolten werden, die den Grundsätzen der OKP entsprechen.

Der Bundesrat hat das Problem erkannt und verfasst derzeit einen Bericht zum Thema «Pflegende Angehörige». prio.swiss erwartet den für im Sommer angekündigte Bericht mit Interesse. Nachfolgend werden erste Handlungsfelder und Herausforderungen identifiziert, die bereits heute im Zentrum der nationalen und kantonalen politischen Diskussion stehen.

Position von prio.swiss

Die Unterstützung der pflegenden Angehörigen ist von grossem Wert für die Gesellschaft im Allgemeinen und für die Gesundheitsversorgung im Speziellen. prio.swiss erachtet dieses Angebot angesichts der demografischen Entwicklung als sinnvolles Element, welches das Gesundheitssystem entlasten könnte. Diese wichtige Pflegeleistung soll wertgeschätzt und angemessen honoriert werden. Angesichts der ausufernden Entwicklungen, die mit den Grundsätzen der OKP kaum mehr vereinbar sind, sieht prio.swiss dringenden Handlungsbedarf im Interesse der Prämienzahlenden. Die Rahmenbedingungen müssen angepasst werden, damit die Pflegequalität sichergestellt und die Patientensicherheit gewährleistet ist.

Qualität und Ausbildung sichern

Heute benötigen pflegende Angehörige keine medizinischen oder pflegerischen Vorkenntnisse, um Grundpflege zu erbringen. Die Patientensicherheit, die Pflegequalität, aber auch die Angemessenheit der erbrachten Pflegeleistungen ist somit in Frage gestellt. So können sich beispielsweise Abgrenzungsprobleme zwischen pflegenden Angehörigen und gepflegten Patientinnen und Patienten ergeben. Daher fordert prio.swiss klar definierte Anforderungsprofile für pflegende Angehörige, klare Vorgaben zur Aus- und Weiterbildung, eine Begleitung und Aufsicht der pflegenden Angehörigen sowie eine angemessene Qualitätskontrolle durch die anstellende Spitexorganisation. Die Kantone müssen in diesem Bereich ihre Verantwortung und bestehenden Kompetenzen wahrnehmen und Qualitätskontrollen im Rahmen der Zulassung der Spitexorganisationen sowie Audits vornehmen.

Arbeitsrechtliche Grundsätze für die Angehörigenpflege

Pflegende Angehörige und ausgebildete Fachkräfte, die in Spitexorganisationen arbeiten, sollten Anspruch auf die gleichen Arbeitsbedingungen haben. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind daher vertieft zu prüfen und zu regeln. Dazu gehört insbesondere die Einhaltung elementarer Arbeitnehmerschutzbestimmungen wie Zeiterfassung, Ruhezeiten, Sozialversicherungen und berufliche Vorsorge. Die pflegenden Angehörigen sind vollumfänglich den arbeitsrechtlichen Grundsätzen zu unterstellen, damit sie stets gleiche und faire Arbeitsbedingungen und den nötigen Arbeitnehmerschutz (z.B. Erwerbsrisiko oder Unfall) erfahren.

Reduktion des OKP-Beitragssatzes

Pflegende Angehörige verfügen in der Regel über keine pflegerische Ausbildung. Für private Spitexorganisationen sind die Gestehungskosten mit pflegenden Angehörigen erheblich tiefer als bei Spitexorganisationen mit angestelltem Pflegepersonal. So fallen z.B. die Anfahrtskosten weg, weil die Pflege im eigenen Haus stattfindet. Auch weitere betriebswirtschaftliche Kosten entfallen. Daher fordert prio.swiss eine Kürzung der Entschädigung an die Spitexorganisation für pflegende Angehörige. Konkret soll der OKP Beitragssatz für die Leistungen von pflegenden Angehörigen in der KLV reduziert werden. prio.swiss fordert zudem die Kantone auf, die Restkostenfinanzierung für die Leistungen der Angehörigenpflege zu reduzieren. Dies haben einige Kantone bereits umgesetzt.

Rechnungsprüfung ermöglichen

Heute ist auf der Rechnung nicht klar ersichtlich, ob eine Leistung durch eine Pflegefachperson oder durch pflegende Angehörige erbracht wurde. Dies erschwert eine effiziente und effektive Rechnungsprüfung durch die Versicherer. Die Leistungen von pflegenden Angehörigen sind daher separat zu erfassen, um eine Umgehung zu verhindern. Da verschiedene Sozialversicherungen beteiligt sind, müssen die Abgrenzungen zur Invaliden- und Unfallversicherung sowie zu den Ergänzungsleistungen klar definiert werden, um das Risiko einer Doppelfinanzierung auszuschliessen. Mit einer transparenten Abrechnung wird eine effiziente Rechnungsprüfung ermöglicht und es können gleichzeitig Daten für die Entwicklung einer sachgerechten Tarifierung gesammelt werden.

Bern, Mai 2025